Ab Mai 1940 war der „Kabeljau“ im Visier der Royal Air Force
Auf den gezielten Einsatz von Bomberflotten gegen den “Feind” setzten beide Seiten im Zweiten Weltkrieg. Dass darunter in erster Linie die Zivilbevölkerung zu leiden hatte, war den Kriegführenden bewusst. Das erste großflächige Bombardement einer deutschen Großstadt flogen die Engländer vom 15. auf den 16. Mai 1940 auf Duisburg (nach ersten Sprengbomben am 12./13. Mai). Die Industriemetropole am westlichen Rand des Ruhrgebiets sollte in den nächsten Jahren häufiger das Ziel alliierter Luftangriffe werden: gezielte Bombardierungen, aber auch Abwürfe durch Bomberpiloten, die eigentlich weiter ins Ruhrgebiet hinein hätten fliegen und dort erst ihre Bomben abwerfen sollen. Die ersten drei Luftkriegstoten in Duisburg gab es am 16. Mai in Hochfeld an der Bachstraße.
Bereits im Jahr 2012 erschienen ist das Buch “Duisburg im Bombenhagel” – damals in der ersten Auflage noch unter dem Titel “Bomben auf Duisburg”. „Geschichte von unten“ will das Autorenteam von der Zeitzeugenbörse Duisburg e. V. hier erzählen. Es ist nicht die Geschichte von „Siegern“, sondern jene von denen, die verloren haben: ihr Hab und Gut, ihre Lieben, ihr Leben, ihre Heimat. Eine Stadt in Schutt und Asche gelegt: Dokumentiert ist das Grauen in neun Kapiteln mit 200 dato weitgehend unveröffentlichten Bildern auf 128 Seiten.
Duisburg, englischer Codename „cod“ (= Kabeljau), war als Industriestandort und wichtiger Verkehrsknotenpunkt ein bevorzugtes Angriffsziel. Und mit seiner Lage im westlichen Ruhrgebiet (als „Einflugschneise ins Ruhrgebiet“) von der anderen Seite des Ärmelkanals war es gut zu erreichen.
Die Einsätze der britischen und später amerikanischen Luftwaffe sind gut dokumentiert, ihre Folgen auf den Fotos zu erkennen. Weitere kleine Puzzlestücke, die jeden faszinieren, der sich für die stadtgeschichtliche Entwicklung interessiert, aber auch bedrücken werden. Bilder der Zerstörung in einem überflüssigen Krieg!
Akribisch zeichnen die Autoren die belegten Fakten nach: Vom Ausbau des Luftschutzes bereits in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft – Verdunklungsübungen 1933, Luftschutzpflicht ab 1935 oder Probe-Fliegeralarm ab 1938, den Bau der Flakkaserne in Wanheim 1937 sowie weitere Kriegsvorbereitungen lange vor den ersten Schüssen in Polen 1939. Schon viele Jahre vor Kriegsbeginn hatten die nationalsozialistischen Machthaber den Luftschutz militarisiert, Deutschland für einen Luftkrieg vorbereitet und für die Verteidigung gegen Luftangriffe gerüstet – zu Deutsch: aufgerüstet und den Krieg vorbereitet.
„Arsenal des Schreckens“ ging auf Duisburg nieder
Insgesamt 311 Luftangriffe hatte es auf den Luftschutzbezirk Duisburg (Duisburg und Walsum) gegeben. Dazu kamen 23 gezielte Angriffe auf Homberg und zehn auf Rheinhausen. Seinen einzigen Großangriff erlebte Rheinhausen erst im Januar 1945. 22 Großangriffe mit über 100 Bombern trafen Duisburg, neun weitere Homberg mit der Rheinpreußen-Raffinerie. Der Leser erfährt Hintergrunde zu Angriffs- und Verteidigungsstrategien ebenso wie zu den eingesetzten Bomben. Dem „Arsenal des Schreckens“ hat Harald Molder ein ganzes Kapitel gewidmet, für das Feuerwerker Friedrich Steinke als Experte Rede und Antwort stand. So unterscheidet man Luftminen („Wohnblockknacker“*), Sprengbomben, Brandbomben (1,7 kg) und Phosphorbrandbomben (14 kg). Es gibt Bomben mit Aufschlagzündern oder Säurezündern (Langzeitzünder), die auch heute noch für unterschiedliche Handhabung regelmäßig bei ihrer Entschärfung Schlagzeilen machen.
Erst als die Frontlinie ab März 1945 in Duisburg stand, hatte der Terror von oben ein Ende. Der 13. April 1945 markierte in Duisburg das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Fotos amerikanischer Soldaten zeigen schließlich erste Lichtblicke einer zerstörten Stadt, nachdem die gröbsten Schuttberge beseitigt sind und sich die Duisburger an den Wiederaufbau machen konnten. Der dauerte bis in die fünfziger und sogar sechziger Jahre an: Bis die alte Mercatorhalle 1962 als Ersatz für die im Krieg zerstörte Tonhalle eröffnet wurde.
Tag für Tag gingen mehr Erinnerungen an das alte Duisburg verloren
Selbst da, wo Industrieanlagen, Rangierbahnhöfe oder Häfen Ziel der Bombardierungen waren, standen Wohnhäuser zu dicht an den Werken, um nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Ansonsten waren markante Punkte immer wieder Ziele von Angriffen: Straßenkreuzungen etwa, die aus der Luft gut zu erkennen waren, oder Kirchtürme („aiming point cathedral“), die Innenstädte markierten. Zivile Ziele wurden vor allem in späteren Kriegsjahren immer gezielter angeflogen.
Nicht mehr nur die Rüstungsindustrie, die im Ruhrgebiet stark vertreten war, sollte unschädlich gemacht werden. Auch die Zivilbevölkerung und ihre Widerstandskraft sollten geschwächt werden. Das war bei der „Luftschlacht um England“ 1940/41 nicht anders als bei den alliierte Luftangriffen auf das Ruhrgebiet. Luftangriffe zielten nicht auf Landtruppen, sondern „hinter“ die Kampflinien, auf die Zivilbevölkerung. Rund 1,5 Mio. Menschen starben im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe.
Allein beim schwersten Angriff auf die Stadt am 14./15. Oktober 1944 (Duisburg war eines der Hauptziele der „Operation Hurricane“ mit drei Angriffswellen) warfen die Bomber rund 9.000 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Stadt, die damit in Schutt und Asche gelegt ihr Gesicht verlor. Etwa 3.400 Duisburger fielen den Luftangriffe der Briten und Amerikaner allein im Oktober 1944 zum Opfer. Rund 39 Prozent der Wohnbebauung im Stadtgebiet wurden insgesamt vernichtet, so die Bilanz nach der Kapitulation.
Blindgänger findet man auch heute noch regelmäßig bei der Auswertung alter Luftbildaufnahmen oder bei Bauarbeiten in der Stadt. Auch wenn der Umgang mit Bombenentschärfungen fast schon Routine geworden ist: Gefährlich sind diese Relikte immer noch! Seit Jahresanfang gilt in NRW die Richtlinie, dass Bombenfunde noch am gleichen Tag zu entschärfen sind. Dafür werden dann schon mal der Bahnhof, die Gleisstrecken und die Autobahnen für ein, zwei Stunden gesperrt. Und niemand weiß, wie viele dieser Relikte des letzten Krieges noch im Duisburger Boden schlummern.
Massengräber in Bombentrichtern
Vor allem die Zitate aus Originalquellen erschüttern. Luftmarschall Arthur „Bomber“ Harris hatte die Wirkung der Brandbombe bei der deutschen Bombardierung der englischen Industriestadt Coventry durch die deutsche Luftwaffe gesehen. Darauf baute er dann auch seine Taktik gegen Deutschland auf und entfachte Feuerstürme in den Städten, denen ganze Straßenzüge und sogar Stadtteile zum Opfer fielen. Die Angriffe konzentrierten sich mehr und mehr auf die Zivilbevölkerung und die Industriearbeiter. Als die Zahl der Todesopfer stieg, ging man nicht nur in Duisburg dazu über, sie in Massengräbern zu verscharren. Dabei verwendete man auch Bombentrichter auf Friedhöfen, die das Graben ersparten.
Neben Erzählungen von Zeitzeugen schwerpunktmäßig aus Duisburg und aus England konnten bekamen die Zeitzeugen-Forscher um Harald Molder auch Zugang zu diversen Archiven in Deutschland, England und den USA, die sie auswerteten und Erkenntnisse über den Luftkrieg in Duisburg auf den neuesten Stand zu bringen. Je mehr die Erinnerung derer verblasst, die dabei waren, umso wichtiger werden Bücher wie dieses, die uns vor allem zu einem mahnen: NIE WIEDER!
Das reich bebilderte Buch „Duisburg im Bombenhagel“ (2. Auflage, früher: „Bomben auf Duisburg“) ist – wie andere Bücher der Zeitzeugenbörse Duisburg e. V. auch – im Erfurter Sutton Verlag erschienen. Das Werk (ISBN 978-3-95400-107-1) kann für 18.95 Euro über den lokalen Buchhandel bezogen werden.
Zeitzeugenbörse Duisburg e. V.
Die Zeitzeugenbörse Duisburg wurde von Harald Molder ins Leben berufen. Unter seinem Vorsitz ist sie 2007 auch ins Vereinsregister der Stadt eingetragen worden. Seither vernetzen sich engagierte Heimatforscher, um Duisburger Stadtgeschichte auch in Ausstellungen, Vorträgen und Büchern erlebbar zu machen.
Zur vollständigen Liste der bisherigen Publikationen der Zeitzeugenbörse Duisburg e. V. im Sutton Verlag geht es hier im Menüpunkt „Bücher“.
*) Luftminen von besonders hoher Sprengkraft dienten als „Wohnblockknacker“ („block buster“), die mit ihrer Druckwelle vor allem Türen und Fensterrahmen herausrissen und die Dächer abdeckten und damit den Weg freimachten für die Brandbomben, die in den Dachböden reichlich Brandfutter fanden.
© 2014 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Zeitzeugenbörse Duisburg e. V.
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